reportage

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In dieser Wohnung leben Karo (eigentlich Karolin) und Cuppi (eigentlich Cupcake). Die junge Frau und die französische Bulldogge werden beide nur dann mit vollem Namen gerufen, wenn sie böse waren, erzählt Karo lachend. Sie hat viel Humor und lacht generell oft, wenn sie in Gesellschaft ist. „Depression hat die unterschiedlichsten Gesichter, es sind nicht nur die, die in der Ecke sitzen und weinen.“ Sie geht sehr offen mit ihrer Erkrankung um. Es ist ihr wichtig, die Klischees rund um Depressionen zu brechen und andere Menschen für das Thema zu sensibilisieren.

Es gab eine Zeit, in der Karo ihre Wohnung nur verließ, um mit Cuppi spazieren zu gehen. Sie stand auf, versorgte den Hund, kochte Kaffee, ging von einem Zimmer ins andere, lag auf der Couch, schaute Fernsehen und ging mitten in der Nacht ins Bett. Schließlich war selbst ihr Vorratsschrank leergefegt. Sie sträubte sich trotzdem einzukaufen, weil sie den Kontakt zu anderen Menschen scheute. Da merkte sie das erste Mal bewusst, dass etwas nicht stimmte. Zunächst war sie mit Magenschmerzen und Erkältungen beim Arzt gewesen, doch nun war es an der Zeit, Farbe zu bekennen. „Zu meinem Arzt sagte ich: ‚Ich habe keinen Kontakt mehr zu irgendwem, gelegentlich schreibe ich mal meiner Schwester, dass ich noch lebe. Aber ansonsten habe ich den Kontakt zu allen abgebrochen.‘“ Der Arzt vermutete eine depressive Episode und gab ihr eine Überweisung zur Psychotherapie. „Ich sah natürlich erstmal dieses Wort ‚Psycho‘ und dachte nur ‚F*ck‘. Rückblickend ist das nichts Schlimmes. Im ersten Moment war es ein Schock.“

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Die Vermutung des Hausarztes bestätigte sich, Karo begann eine Therapie. In den ersten Sitzungen sagte ihr die Therapeutin, sie solle etwas finden, das ihr Spaß bereite. Dieser scheinbar so einfache Satz ließ Karo fortan nicht mehr los. Sie überlegte ununterbrochen, woran sie mal Spaß hatte. Bevor das alles begann. Und das war gar nicht einfach. Schließlich ging sie gedanklich zurück bis in ihre Kindheit. Damals wollte sie unbedingt Schauspielerin werden. Aber ihre Eltern wollten, dass sie etwas Vernünftiges lernte. Frisch motiviert, suchte sie mitten in der Nacht im Internet nach Laiengruppen und schrieb schließlich das Bochumer Theater ohne Mittel (ToM) an. Als sie am nächsten Tag aufstand, hatte sie schon eine Antwort: Das Theater suche noch Leute für den Chor, sie könne noch am selben Tag zu den Proben kommen. Obwohl Karos Interesse an Gesang nichtexistent ist, ließ sie sich auf das Abenteuer ein. Und ihr Entschluss sollte sich auszahlen, erklärt sie grinsend: „Sie sagten mir ‚Nein, nein. Du musst nicht singen‘. Der Chor ist quasi ein bewegtes Bühnenbild.“ Bis heute spielt Karo im ToM. Während der Pandemie hat sie sogar an einem Projekt im Schauspielhaus mitgewirkt. Das Kostüm schmückt heute eine Wand in ihrer Wohnung. Das Theaterspielen macht ihr Spaß und gibt ihr Halt. Sie muss Texte lernen, sich vorbereiten und ist stetig im Kontakt mit dem restlichen Ensemble. Karo versteckt ihre Gefühle oft vor anderen. Sie überspielt unangenehme Gefühle gerne humoristisch. Die künstlerische Auseinandersetzung mit Gefühlswelten hilft ihr.

Ihre erste Therapeutin bewertete den Einfluss des Theaterspielens auf Karos Leben so positiv, dass die Therapie nach zwei bis drei Sitzungen endete. „Das war wie ein Pflaster auf eine Schusswunde zu kleben.“, sagt Karo heute. Vier Jahre nach ihrer ersten depressiven Episode schlich sich die Krankheit dann wieder leise in ihr Leben ein. Sie begann, Leute aus der Familie und dem Bekanntenkreis auszuschließen, hörte auf, ihnen zu schreiben. Als Karo einen Vormittag komplett auf ihrem Balkon verbrachte und dabei vier Stunden lang nur auf die gegenüberliegenden Bäume starrte, merkte sie, dass etwas nicht stimmte. „Da habe ich dann halt gemerkt, okay, das ist ein bisschen wie damals.“

Die junge Frau reagierte sofort und suchte sich Hilfe. Dass sie die Zeichen rechtzeitig bemerkte und zu deuten wusste, ist für sie ein Glücksfall. Nun ist sie wieder in Therapie und lernt Methoden kennen, die ihr im Umgang mit der Depression helfen. Sie ist die erste in ihrer Familie, die das Thema mentale Gesundheit so akribisch und gewissenhaft angeht. Gefühle gelten in ihrer Familie als etwas, das man mit sich selbst ausmacht. Und dass gerade Karo, die immer so tough ist und so ein großes Mundwerk hat, oftmals auch von ihren eigenen Gefühlen überwältigt wird, ist gerade für ihre Nächsten nicht verständlich. „Mein Humor und meine Selbstständigkeit überspielen da schon vieles.“ Nur Cupcake, ihrer französischen Bulldogge, kann sie nichts vormachen. Sobald das Gespräch emotional wird, ist er da und springt auf Karos Schoß. „Das ist mein Depressionshund. Er kennt mich in jeglichen Zuständen und kriegt die geballte Ladung Gefühle ab.“

Ihre Selbstständigkeit fand sie vor allen Dingen nach der Schulzeit. Karo ging als Au Pair nach England und lernte schnell für sich selbst zu sorgen. Diese prägende Zeit veränderte sie, sowohl äußerlich als auch charakterlich. Während sie in der Schule in vielen Sportmannschaften von Tischtennis bis Fußball aktiv war, sich immer in Gruppen einbrachte und sich diesen auch oft anpasste, war die Karo, die nach Deutschland zurückkehrte, individueller. Sie hatte plötzlich ihren eigenen Kopf und sah anders aus. Die früher gertenschlanke Sportlerin hatte in England gelernt, das Essen zu genießen. In Verbindung mit einer Schilddrüsenerkrankung hatte sie mehr Gewicht gewonnen. Ihre ehemaligen Schulfreundschaften überdauerten all diese Veränderungen nicht. Dass sie zur Ausbildung ins Rheinland zog und danach wieder ins Ruhrgebiet zurückkehrte, erschwerte das Knüpfen neuer Bindungen. „Dann kamen langsam die Sprüche aus der älteren Generation der Familie. ‚Du bist zu selbstständig, hast eine zu große Klappe und jetzt bist du auch noch dick, kein Wunder, dass du keinen Partner hast.‘“ Bis heute fällt es Karo schwer, sich anderen Menschen zu öffnen und tiefe Freundschaften zu schließen. „Über die Jahre hinweg habe ich diese Mauern aufgebaut. Und es ist wirklich schwer, Leute dahinter zu lassen.“

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Es gibt Momente, in denen Karo ihre Unabhängigkeit schätzt. Sie reist gerne allein und erlebt neue Abenteuer. Sie genießt es, neue Orte zu erkunden und niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen zu müssen.

Eigentlich möchte sie sich selbst gerne mehr zeigen. Aber ihre selbst aufgetragenen Mauern stehen ihr oftmals im Weg. „Einsamkeit bedeutet für mich, mich verloren zu fühlen. Irgendwie nicht richtig zu sein. Wo geht es hin? Wo will ich hin? Was kommt noch? Was ist da? Man fühlt sich halt ein bisschen verloren und das macht einsam.“

Cupcake, Karos treuer Begleiter, ist ebenfalls nicht gerne einsam. „Er bleibt echt nicht gerne allein zu Hause.“ Manchmal, verrät sie, schiebe sie den Hund aber auch vor. „Wenn du so richtig tief in einer Depression steckst, ist dir jeglicher Kontakt zu anderen zu viel. Aber du möchtest auch nicht allein sein. Das ist dann dieser Kampf, von der einen Karo gegen die andere.“

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Angehörigen von Menschen mit Depressionen rät sie, dranzubleiben. Sich auch dann weiter zu melden, wenn es keine Rückmeldungen mehr gibt. „Auch, wenn ich nicht mehr reagiert habe und die Nachrichten manchmal gar nicht gelesen habe, weil ich so überwältigt von allem war, habe ich ganz unterbewusst dieses blinkende Handy wahrgenommen und wusste, da ist noch jemand.“ Nur Druck ausüben solle man auf keinen Fall. „‚Hey, du hast dich schon lang nicht mehr gemeldet, ist alles okay?‘ fühlt sich ganz anders an als ‚Warum meldest du dich denn nie zurück?‘“

Karo arbeitet weiter daran, dass ihr Leben eines mit Abenteuern und Spaß bleibt. Vielleicht kann sie ihre Mauern nicht sofort komplett einreißen. Aber immer mehr Türen einbauen, kann sie auf jeden Fall.